
Weinreifung: Je älter der Wein, desto besser?
Gereifte Weine gelten als besonders edel und begehrt. Aber bei weitem nicht jeder Wein hat das Potential dazu, im Alter an Qualität zuzulegen. Liebherr Master Sommelier Frank Kämmer erklärt den Mythos Weinreifung.
Das Wichtigste in Kürze
- Nicht jeder Wein wird mit dem Alter besser.
- Es gibt drei Wein-Kategorien: solche, die schlechter werden, solche, die stabil bleiben, und wenige, die sich verbessern.
- Einfache Tischweine sind für den sofortigen Genuss gemacht.
- Selbst hochwertige Weine haben eine begrenzte Reifephase mit anschließendem Qualitätsabfall.
Alte Weine – nicht immer besser

Wein kann eines der haltbarsten Lebensmittel sein. Obwohl in ihm nur wenige Milligramm Sulfit als Oxidationsschutz zur Konservierung enthalten sind, hat er manchmal sogar die Fähigkeit, scheinbar die Zeit aus den Angeln zu heben und Jahrhunderte zu überdauern. Doch den Mythos solch alter Weine sollte man andererseits auch nicht überschätzen. Denn wer hier stur nach dem Motto „Je älter, desto besser“ handelt, der dürfte weitaus mehr Enttäuschungen als Geschmackserlebnisse erfahren.
Weinreifung: Entscheidend sind die Rebensäfte
Es sind in Wirklichkeit nur wenige Ausnahmegewächse, die das Zeug dazu haben, zu wahrhaft würdevollen Methusalems zu reifen. Grundsätzlich kann man nämlich die Rebensäfte grob in drei Kategorien gliedern: Jene, die durch Lagerung an Qualität einbüßen, jene die über eine gewisse Dauer ihre Qualität halten können und schließlich jene, die sich tatsächlich im Keller über Jahre hinweg verbessern.
Zur ersten Gruppe – und das ist bei weitem die Größte – gehören die einfachen Tischweine für den täglichen Konsum. Diese werde ganz bewusst so erzeugt, dass sie zum Zeitpunkt des Kaufs am besten schmecken und deshalb sollte man hiervon keinesfalls größere Mengen einlagern.
Höherwertigere Weine hingegen dürfen je nach Herkunft und Machart durchaus einige Zeit liegen. Allerdings sollte man sich dabei im Klaren sein, dass sich im Laufe der Reife der Charakter dieser Weine zwar verändert, dies aber nicht immer gleichbedeutend mit einer echten Verbesserung der Qualität einhergehen muss.
Doch auch bei der dritten Gruppe, den wirklich großen Weinen – und diese sind naturgegeben immer die Ausnahme – bei denen tatsächlich eine Verfeinerung über die Jahre hinweg in der Flasche stattfindet, darf man nicht der Annahme verfallen, dass die positive Reifentwicklung immer nur einer ansteigenden Bahn folgen würde.

Wein ist nicht unendlich haltbar
Jeder große Wein, selbst der Haltbarste unter ihnen, hat nämlich einen höchst individuellen Lebenszyklus, der sich eher mit einer ansteigenden und wieder abfallenden Kurve als mit einer nur nach oben gerichteten Linie beschreiben lässt. Nach einer Phase der Verfeinerung ist irgendwann einmal ein Plateau der maximalen Qualität erreicht, auf dem sich gute Gewächse oft über Jahre hinweg halten können. Doch schließlich geht auch der feinste Rebensaft den Weg alles Irdischen. Er verlässt dann sein Reifeplateau und beginnt einen (hoffentlich langsamen und sanften) Sinkflug einzuleiten. Weine, die sich in diesem Sinne wieder auf dem Abstieg von ihrem Qualitätsgipfel befinden, sind aber natürlich dennoch weiterhin sehr gut zu trinken. Doch es erfordert dann auch eine gewisse Portion Respekt und Demut, die man einem besonders alten Wein in seiner letzten Phase entgegen bringen sollte, um wirklich Freude an dessen Genuss zu haben.

Der Autor
Frank Kämmer
Ich habe viele Jahre in der Spitzengastronomie gearbeitet und wurde in dieser Zeit zu den führenden europäischen Sommeliers gezählt. Im Jahr 1996 gelang es mir mit dem Titel eines „Master Sommeliers“ die höchste internationale Qualifikation meines Berufstandes zu erlangen. Ich bin heute hauptberuflich als Consultant in der internationalen Wein- und Gastronomiebranche tätig. Ebenfalls habe ich zahlreiche Bücher zum Thema Wein und Spirituosen veröffentlicht und wurde als erster Deutscher in den britischen Circle of Wine Writers aufgenommen.


