21. Dezember 2017. Drei Tage vor Weihnachten erhält Schmidbauer, ein Systemdienstleister für Krantechnik, die Zusage des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR): Ein Liebherr-Mobilkran LTM 1040-2.1 soll zum Umbau einer polaren Forschungsstation in die Antarktis transportiert werden. „Damit begann für uns ein Wettlauf gegen die Zeit“, erinnert sich Minka St. James, Projektleiterin für den Antarktis-Einsatz bei Schmidbauer. „Wir mussten den Kran bereits zwei Wochen später verschiffen, sonst hätten wir ein ganzes Jahr verloren.“ Denn die Logistikmöglichkeiten in der Antarktis sind extrem begrenzt. Die letzte Etappe von der Südspitze Chiles bis zur Forschungsstation wird nur durch eine Kooperation des DLR mit dem chilenischen Militär ermöglicht.

Eine weitere Herausforderung ergab sich durch strenge Umweltauflagen: Zum Schutz der auf der Insel lebenden Pinguine können Schiffe nicht direkt bis zum Anlegesteg der Forschungsstation heranfahren. Stattdessen müssen sie ihre Fracht rund zwei Kilometer vor der Küste auf Pontons verladen. Die flachen, an Flöße erinnernden Schwimmkörper können jedoch nur Lasten bis zu 8 Tonnen transportieren. Innerhalb von rund zwei Wochen musste Schmidbauer also nicht nur den anspruchsvollen Transport in die Antarktis organisieren – der Kran musste auch in Einzelteile zerlegt und die erneute Montage vor Ort durchgeplant werden.

„Trotz der schwierigen Bedingungen war für uns klar: eine Verzögerung ist keine Option“, erklärt Minka St. James. Anfang Januar verließ der Kran in Einzelteilen die Hauptverwaltung von Schmidbauer in Gräfelfing bei München.

Von München in die Antarktis

Das erstes Ziel des Mobilkrans: der Hamburger Hafen. Von dort aus führte die Route in mehreren Etappen über den Nordatlantik und die Westküste Südamerikas entlang bis in die Antarktis.

Drei Kran-Experten im Gespräch

Gute Vorbereitung ist alles – insbesondere bei einem Einsatz in der Antarktis. Dafür sorgten Michael Paul und Charlie Zöllner, Werkstattmeister und Geselle bei Schmidbauer, die den Kran von der Demontage in Gräfelfing bis zur erneuten Montage in der Antarktis begleitet haben. Bei der Demontage in Deutschland wurden sie zudem unterstützt durch Tobias Hunger, Kundendienstmitarbeiter des Liebherr-Werks Ehingen.

Herr Paul und Herr Zöllner, ist ein Einsatz wie dieser für Sie Alltag?

Michael Paul: Nein, das war wirklich etwas Neues für uns. Als ein Kollege mir zum ersten Mal erzählte, dass wir den Kran selbst in der Antarktis montieren sollten, dachte ich zuerst er möchte mich veräppeln. Ein Einsatz in der Antarktis ist alles andere als alltäglich und die Vorbereitungen sind sehr umfangreich.

Charlie Zöllner: So einen Einsatz werde ich vermutlich kein zweites Mal erleben. Im Jahr 2017 war ich zudem noch nicht lange bei Schmidbauer und es war für mich der erste Auslandseinsatz. Das ist in jedem Fall etwas Besonderes.

Vom Auftragseingang kurz vor Weihnachten 2017 bis zum Abtransport des Krans am 2. Januar 2018 vergingen weniger als zwei Wochen. Wie liefen Ihre Vorbereitungen in der Werkstatt ab?

Michael Paul: Wir standen unter starkem Zeitdruck, denn die Demontage des Krans war nicht unsere einzige Aufgabe. Wir mussten auch alle Ersatzteile und Werkzeuge vorbereiten und mitnehmen, die wir vor Ort für die Montage benötigen würden. Hektisch wurde es außerdem, als wir die Einzelteile des Krans von einer Spezialfirma verpacken lassen mussten oder eine große Lieferung von Ersatzteilen für den Kran von Liebherr benötigten. Den engen Zeitplan konnten wir nur durch den vollen Einsatz aller Beteiligter einhalten.

Wie sind Sie bei der Demontage des Krans vorgegangen?

Michael Paul: Die Demontage eines Krans ist keineswegs Routine. Hinzu kam, dass die Einzelteile maximal acht Tonnen wiegen durften und bestimmte Maße einzuhalten waren. Deshalb haben wir bei der Demontage eng mit dem Liebherr-Kundenservice zusammengearbeitet.

Tobias Hunger: Die Probleme unserer Kunden unter Zeitdruck zu lösen ist unser Job. Aber auch für uns waren diese Anforderungen ungewöhnlich. Anhand technischen Zeichnungen haben wir einen groben Plan für das Zerlegen des Krans entwickelt. Einiges mussten wir aber auch erstmals während der Demontage improvisieren: etwa einen neuen, kleineren Dieseltank für den Motor im Kran-Unterwagen. Der eigentliche Dieseltank des Unterwagens befand sich im Oberwagen, der auf Grund der Gewichtsvorgaben entfernt werden musste. Ein funktionierender Motor war für die Montage vor Ort unerlässlich. Wichtig war zudem, bereits bei der Demontage die erneute Montage in der Antarktis mitzudenken. Wir wollten sicherstellen, dass unter den rauen Wetterbedingungen dort so wenig Handgriffe wie möglich notwendig sein würden.

Der Kran wurde bereits Anfang Januar verschifft. Im März flogen Sie nach Punta Arenas (Chile) und trafen dort erneut auf den Kran, um ihn auf der letzten Etappe bis zur Forschungsstation zu begleiten. Wie haben Sie diesen Reiseabschnitt erlebt?

Michael Paul: Wir haben sehr schnell ein landestypisches Sprichwort gelernt: ‚In der Antarktis ist nur eines sicher: nichts ist sicher.‘ So verzögerte sich etwa das Verladen der Kranteile auf die Pontons zunächst, da zu viele Eisschollen vor der Insel trieben. Gerade das Platzieren des Auslegers auf dem Ponton war auf Grund seiner Größe nervenaufreibend. Von einem kleinen Motorboot aus haben wir den Hub begleitet. Um dort hinunterzukommen mussten wir aber über eine Metallleiter an der Seite des Militärschiffs hinunterklettern. Der metertiefe Blick nach unten war eine richtige Grenzerfahrung!

Wie unterscheidet sich die Montage eines Krans in der Antarktis von einer Montage auf dem Werksgelände?

Michael Paul: In Gräfelfing haben wir Spezialwerkzeuge zur Hand und wir können etwaige fehlende Ersatzteile kurzfristig bestellen. In der Antarktis dauert ihre Lieferung mitunter mehrere Wochen. Umso wichtiger ist unsere Planung in Deutschland. Das hat mir durchaus schlaflose Nächte bereitet. Letztendlich hat aber alles geklappt: obwohl die Kranteile mehrfach umgeladen wurden, haben am Ende nur vier Schrauben gefehlt, die uns die chilenischen Kollegen freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben.

Charlie Zöllner: Vor Ort herrschen ganz andere Bedingungen: Anstatt einer überdachten Werkstatt haben wir den Kran dort im Freien montiert. Zwar hatten wir Glück mit dem Wetter und die Temperaturen lagen nahe dem Nullpunkt, aber mit dem starken Wind in der Antarktis war unsere Schutzkleidung doch wichtig. Auf der Insel ist man zudem auf seine Nachbarn angewiesen. So konnten wir etwa auf einen kleineren Kran der chilenischen Militärstation bei der Montage zurückgreifen.

Wie fühlt es sich an, wenn man nach getaner Arbeit auf den fertig montierten Kran blickt?

Charlie Zöllner: Man betet, dass der Kran nach all der Arbeit auch tatsächlich anspringt. Als ich den Schlüssel dann aber im Zündschloss gedreht habe und der Kran sofort ansprang, war das ein Augenblick großer Erleichterung.

Michael Paul: Auch für mich – denn das zeigt, dass unsere ganze Planung aufgegangen ist. Rückblickend begeistert mich besonders die großartige Zusammenarbeit aller Beteiligten – von der Unterstützung durch das DLR, das Know-how von Liebherr bei der Demontage bis hin zur Zusammenarbeit mit dem chilenischen Militär vor Ort. Ohne diese Teamarbeit wäre ein solches Projekt nicht machbar gewesen!

Deutsche Forschung am Südpol

Bereits seit 1991 betreibt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt eine polare Forschungsstation auf der kleinen Insel rund 30 Kilometer vor der Nordspitze der antarktischen Halbinsel. Die GARS O’Higgins (German Antarctic Receiving Station O‘Higgins) empfängt mit Hilfe einer eigens für den Einsatz in der Antarktis konzipierten Antenne Satelliten- und Erdbeobachtungsdaten.

Die gesammelten Satelliten- und Erdbeobachtungsdaten werden im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte ausgewertet und in nationale und internationale Datenbanken eingespeist. Die Daten geben den Forschern etwa wesentliche Einblicke in die Veränderungen in der Antarktis. Daran lassen sich auch Veränderungen des globalen Klimas ablesen.

Die Station ist seit 2010 das ganze Jahr über mit einer vierköpfigen Mannschaft besetzt. Rund zwei bis drei Monate verbringen die Mitarbeiter am Stück vor Ort und erleben dabei Temperaturen von – 20 °C und + 8 ° C und Windstärken von bis zu 200 Stundenkilometern. Die Forschungsstation ist in zwei Einheiten geteilt: in einem Gebäude sind die Räumlichkeiten für die Forschung untergebracht, im anderen die weitere Infrastruktur. Letztere ist notwendig, da die Station autark betrieben wird und über eine eigene Stromversorgung mit Dieselgeneratoren, eine Osmose-Anlage zur Wasseraufbereitung und eine eigene biologische Kläranlage verfügt. Das Infrastrukturgebäude ist jedoch in die Jahre gekommen und soll deshalb bis 2022 saniert und erweitert werden.

Beengte Bauarbeiten an einem Ende der Welt

Die Herausforderung dabei sind die engen Platzverhältnisse auf der Insel, die nur 300 auf 200 Meter groß ist. In direkter Nachbarschaft zur deutschen Forschungsstation befindet sich zudem noch die chilenische Militärbasis General Bernardo O’Higgins. „Für die DLR war deshalb ausschlaggebend, dass der Kran in diesen engen Platzverhältnissen manövrieren kann und die Baustelle von einem Standort aus abdeckt“, erklärt Minka St. James, die das Projekt für Schmidbauer betreut.

Auch der Kundendienst spielt in der Antarktis eine wichtige Rolle. Denn der kurze Sommer, in dem Bauarbeiten durchgeführt und Logistikrouten befahrbar sind, muss möglichst effizient genutzt werden. Stillstand ist keine Option. „Deshalb haben wir uns für einen Liebherr-Kran entschieden – denn im Notfall kann ein Monteur des Liebherr-Kundendiensts aus Chile zur Forschungsstation geschickt werden“, ergänzt St. James.

Nach dem der Kran nach seiner Montage sofort winterfest gemacht wurde, schloss er im drauffolgenden Südsommer von Dezember bis März 2019 die Testphase erfolgreich ab. Mit der Erweiterung der Forschungsstation hat der Kran ab November 2019 begonnen. Die Fertigstellung der Umbaumaßnahmen ist für 2022 geplant.

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