
Kollege Radlader
Ein 26-Tonnen-Radlader, der Schüttgut verlädt – gleichmäßig und im perfekten Timing. Und das alles ohne Fahrer. In Bischofshofen (Österreich), im Kompetenzzentrum für Radlader der Firmengruppe, hat ein Forschungs- und Entwicklungsteam die Zukunft des autonomen Arbeitens beginnen lassen. Davon sollen künftig insbesondere auch Mittelständler und ihre Mitarbeitenden profitieren.
Es ist ein grauer Dezembertag. Schon gegen Mittag hat sich die Sonne hinter den Gipfeln der Salzburger Alpen zurückgezogen. Zu deren Füßen liegt das Liebherr-Werk Bischofshofen, das Kompetenzzentrum für Radlader. Das stört aber den leuchtend gelben Radlader nicht. Er nimmt unverdrossen grauen Schotter vom überdachten Lagerplatz auf und türmt ihn 30 Meter weiter zu einem großen Haufen auf. Schaufel für Schaufel, im immer gleichen Rhythmus. Warum er das tut, ist hier nicht die Frage. Wie er dies tut, ist hingegen revolutionär. Denn der große L 576 XPower von Liebherr arbeitet komplett autonom. Kein Fahrer sitzt in der Kabine. Dafür ist auf dem Kabinendach ein weißer Aufsatz montiert mit allerlei state-of-the-art Sensorik.
Am Rande des Geschehens steht, dick in Wintermontur eingepackt, auf dem Balkon des Besucherzentrums Manuel Bös. Er schaut auf seinen aufgeklappten Laptop und atmet einmal kräftig durch. „Eine mehr als 20 Tonnen schwere Maschine in Aktion ohne Fahrer zu erleben, da bekommt man schon ein bisschen Gänsehaut“, bekennt er.

Der nächste Schritt der Evolution: von der Bauma in den Markt
Seinen ersten großen, internationalen Auftritt wird ein autonomer XPower-Radlader auf der Bauma 2025 in München (Deutschland) haben. Parallel laufen großangelegte Feldtests bei Kunden, um die Robustheit und Zuverlässigkeit der Technologie unter realen Bedingungen weiter zu beweisen. Manuel Bös und sein Team sind überzeugt von der Technologie. „Wir befinden uns mit dem autonomen Radlader in einem evolutionären Prozess und haben bereits die fünfte Generation mit einem hohen Reifegrad in der Entwicklung“, sagt Bös.
Dieses Denken und Handeln in langen Linien entspreche ganz der Liebherr-Philosophie: „Zehn Jahre am autonomen Maschinenbetrieb zu arbeiten, stellt in unserem Familienunternehmen niemand in Frage. Im Gegenteil, alle Geschäftsbereiche arbeiten dabei eng zusammen: die Erdbewegungssparte mit den Werken im österreichischen Bischofshofen und in Telfs, Kirchdorf (Deutschland) und Colmar (Frankreich), Elektronikentwicklung aus Nenzing (Österreich) und Lindau (Deutschland) oder das Liebherr Digital Development Center in Ulm (Deutschland). Wir alle stehen im ständigen Austausch, helfen und ergänzen einander“, sagt Bös.
Gemeinsam habe man die komplexe Technik so hinbekommen, dass die Radlader heute so einfach wie Saugroboter in der Wohnung funktionierten. „Sie machen einfach exakt das, was man ihnen sagt“, stellt Manuel Bös fest. Und er denkt dabei schon weiter. Im nächsten Schritt gelte es, Flotten autonomer Maschinen so zu vernetzen, dass sie schwarmintelligent und dabei immer lernend zusammenarbeiten. „Ein Anfang ist gemacht – jetzt wird’s erst richtig spannend.“

Pionierarbeit: zehn Jahre für eine Vision
Dr.-Ing. Manuel Bös kam 2010 zu Liebherr nach Bischofshofen (Österreich). Der gelernte Maschinenbauer aus Hessen (Deutschland) hatte schon in seinem Studium seinen Schwerpunkt auf mobile Arbeitsmaschinen gelegt und am Ende über Gesamtfahrzeugsimulation und -dynamik promoviert.
„Die Entwicklung autonomer Radlader begann bei Liebherr 2015“, berichtet der 38-Jährige. „Wir haben uns vor zehn Jahren die Frage gestellt, wie monotone, ermüdende Aufgaben durch Maschinen präziser und effizienter erledigt werden könnten.“ Der Weg führte über Assistenzsysteme und Fernsteuerungslösungen hin zum autonomen Radlader, der in Bischofshofen (Österreich) seine Runden dreht. Die größte Challenge der Entwickler sei die Reduzierung der Komplexität nach dem K.I.S.S.-Prinzip gewesen: „Keep it simple and smart – mach es so einfach und intelligent wie möglich“, lautete die Devise. Für Bös heißt dies: „Unsere Maschinen müssen nicht nur robust sein, sondern auch kinderleicht zu bedienen – ohne spezielle Programmierkenntnisse und IT-Abteilung im Rücken.“
Nur ein paar Schritte vom Besucherzentrum mit seinem Vorführareal entfernt hat das Team von Manuel Bös im Obergeschoss von Halle 11 seine „Büros für aufstrebende Technologien“. Unten durchlaufen Liebherr-Radlader letzte Qualitätskontrollen – da wird geschraubt, gemessen und geprüft. „Wir wollten nicht in ein abgelegenes Bürogebäude. Mitten zwischen Testgelände und Serien-Industrialisierung fühlen wir uns pudelwohl“, schwärmt Bös.

Die Arbeitsvorgabe: maximale Präzision und Effizienz
Die Grundlage für autonomes Arbeiten von Radladern schafft eine detaillierte Definition der Arbeitsumgebung und der dort vorherrschenden Bedingungen. Dazu erfassen drei auf robuste Baustellen- und Offroad-Einsätze ausgelegte 360-Grad-Laserscanner die Umgebung und erstellen bei der Erstbefahrung des Geländes eine exakte Karte. Mithilfe eines speziellen Bewertungsalgorithmus erkennt das System alle befahrbaren Wege und mögliche Hindernisse. „Dabei kommt es nicht auf Schönheit und Detailtiefe der Karten an, sondern auf zentimetergenaue Lokalisierung auf Basis möglichst geringer Datenmengen“, erklärt Bös. Dabei werde nicht zwingend GPS benötigt. „Die Maschinen können sich also auch in abgeschirmten Umgebungen wie Hallen oder Tunneln zuverlässig und jederzeit planmäßig bewegen.“
Das zeigt zugleich auch: Die Einsatzmöglichkeiten autonomer Radlader sind vielfältig. Das Liebherr-Team hat dabei besonders auch mittelständische Betriebe im Blick, die mit kleiner Belegschaft beispielsweise Steinbrüche, Kieswerke oder Materialumschlagsanlagen betreiben. Überall, wo relativ einfache, sich ständig gleichförmig wiederholende Materialbewegungsarbeiten anfallen, so die Idee der Entwickler, könnten automatisierte Abläufe die Belastungen für Mitarbeitende reduzieren und es den Unternehmen ermöglichen, auch bei Fachkräftemangel planbar produktiv zu bleiben.
Hinzu kommt, dass sich gezeigt hat, dass autonome Systeme im Dauerbetrieb deutlich präziser arbeiten können als ein Mensch. „Einmal auf die Arbeitsumgebung programmiert und ‚eingelernt‘, erreicht ein autonomer Radlader eine optimale, gleichmäßige Beladung der Schaufel ohne große Energie- und Reibungsverluste durch ein Schleifen über dem Untergrund. Das spart Instandhaltungskosten und hält den Wiederverkaufswert länger hoch. In Verbindung mit verschleißoptimiertem Fahren ergibt sich ein erheblicher Effizienzgewinn, der im 24/7-Betrieb besonders positiv zu Buche schlägt“, rechnet Manuel Bös vor.
Neben der Effizienz und Wertschöpfungstiefe haben die Entwickler großen Wert auf eine möglichst einfache, intuitive Bedienung des Systems gelegt. „Alles, was ein Betreiber braucht, ist ein Webbrowser und ein Internetanschluss. Ein Unternehmen muss dafür keine eigene IT-Abteilung aufbauen, die Mitarbeitenden können sich ganz auf ihre Kernaufgaben konzentrieren“, erklärt Bös. „Und es funktioniert unabhängig von der Antriebsart. Ein Diesel-Radlader kann damit genauso ausgestattet werden wie ein künftiger Elektro- oder Wasserstoffradlader von Liebherr.“
Multifunktional: Autonomie für alle Fahrzeugklassen
Es sei ein langer, lohnender Weg gewesen. Mit Unterstützung anderer Liebherr-Gesellschaften aus Frankreich, Deutschland und Österreich gelang es, die Vision vom autonomen Radlader seit 2015 immer greifbarer zu machen. 2017 liefen die ersten Fahrversuche mit Radladern der XPower-Klasse vom Typ L 576. Seit 2021 kamen dann immer mehr Größenklassen hinzu. „Die Aufgabenstellung ergab sich aus den Anforderungen unserer Kunden“, berichtet Bös. „Der autonome Radlader soll multifunktional genutzt werden können – mal mit, mal ohne Fahrer. Sei es manuell gesteuert, mit Funkfernsteuerung, per Teleoperation über größere Distanzen oder eben voll autonom.“ So habe man die ersten Prototypen eines Autonomiepakets entwickelt, ausgestattet mit Laserscannern, Kameras, Sensoren und viel Elektronik. Über eine integrierte Rechnereinheit erfolgt die Steuerung des Radladers, „zentimetergenau, zuverlässig und sicher“, wie der Chefentwickler betont.
Auf einen Blick: autonome Radlader von Liebherr
Vorsprung durch Intelligenz und Vernetzung: autonom arbeitende Maschinen haben das Zeug, Baustellen und ihre Abläufe vollkommen neu zu definieren. Das bringt entscheidende Vorteile für Betreiber und Bediener mit sich.
1. Effizienzsteigerung durch Präzision
Autonome Radlader optimieren Arbeitsabläufe mit gleichmäßiger Beladung und sie minimieren Leerfahrten. Ergebnis: höhere Produktivität und reduzierte Betriebskosten.
2. Entlastung bei monotonen Arbeiten
Sich ständig wiederholende, gleichförmige und ermüdende Arbeiten können ohne Bedienpersonal durchgeführt werden. Die Mitarbeitenden können sich so anspruchsvolleren Aufgaben zuwenden. Damit wird auch dem zunehmenden Fachkräftemangel wirksam entgegengesteuert.
3. Verschleißminimierung
Dank intelligenter Steuerung wird Treibstoff gespart und werden Maschinenteile geschont, was die Lebensdauer verlängert und Wartungskosten senkt.
4. Einfachste Bedienung
Autonome Radlader sind über einen Webbrowser steuerbar – eine kostspielige IT-Infrastruktur oder Spezialkenntnisse in Programmieren und Datenverarbeitung sind nicht erforderlich.
5. Sicherheit an erster Stelle
Hochmoderne, robust ausgelegte 3D-Scanner und Sensoren gewährleisten eine sichere Navigation. Sie erkennen Hindernisse in Echtzeit, selbst in komplexen Umgebungen und nach stundenlanger monotoner Arbeit.
6. Zukunftsfähigkeit eingebaut
Die Möglichkeit zur Vernetzung mehrerer autonomer Maschinen eröffnet neue Dimensionen für effiziente, schwarmintelligente Arbeitsweisen – mit noch größeren Dekarbonisierungseffekten.

Auf Nummer sicher: Unfallschutz als oberste Priorität
Ein Albtraum für jeden Betreiber sind Maschinen, die außer Kontrolle geraten und Unfälle verursachen. „Das Sicherheitssystem ist auf alle erdenklichen Probleme und Schadensfälle ausgerichtet“, so der Entwickler. „Das System wird nie müde oder unaufmerksam und überwacht sich ständig selbst, was insbesondere bei stundenlangen monotonen Abläufen ein wichtiger Vorteil ist.“ Um komplett auf Nummer sicher zu gehen, seien abgesperrte Areale, in denen keine weiteren, manuell gesteuerten Maschinen und keine Fußgänger unterwegs sind, ideal für einen unterbrechungsfreien Ablauf. „Das elektronische Einzäunen des Betriebsgeländes ist ein überschaubarer Aufwand, der sich mit einem vergleichsweise geringen Investment lösen lässt.“