
Grenzenlose Chancen – Internationale Ausbildung als Lösung für den Fachkräftemangel
6 Uhr morgens – Frühschicht-Beginn bei Liebherr-Aerospace in Lindenberg (Deutschland). Eine junge Frau läuft durch die Produktionshallen, in der verschiedene Komponenten für die Luftfahrt gefertigt werden. Die Sonne ist noch nicht mal aufgegangen, aber sie winkt gut gelaunt den Kolleginnen und Kollegen zu. An einer großen CNC-Dreh- und Fräsmaschine angekommen, ihr Arbeitsplatz für diesen Tag, zieht sie sich ihre Handschuhe und Schutzbrille an und rüstet gekonnt die Werkzeuge um. Victoria Santacruz ist angekommen – an ihrem Arbeitsplatz, bei Liebherr und in Deutschland. Ihr Weg hierher war geprägt von Mut und Entschlossenheit.

Der Weg zu Liebherr
In ihrem letzten Schuljahr in Ecuador stieß sie auf das PAM-Programm, das von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH umgesetzt wird. „Partnerschaften für entwicklungsorientierte Ausbildungs- und Arbeitsmigration“ – ein Programm, das junge Talente mit deutschen Unternehmen verbindet, die dringend Auszubildende und Fachkräfte suchen. Liebherr ist Teil dieses Programms und hat damit bereits viele positive Erfahrungen gemacht. Tanja Stadler, ehemalige Leiterin des Bildungszentrums in Lindenberg sieht darin die perfekte Möglichkeit, um noch offene Stellen zu besetzen. „Jungen, engagierten Menschen die Chance auf eine fundierte Ausbildung zu geben und sie danach als Fachkräfte zu beschäftigen, hilft beiden Seiten.“ Der Fachkräftemangel betrifft auch das Produktsegment Aerospace und Verkehrstechnik und die Suche nach Auszubildenden und Fachkräften ist eine Herausforderung. „Selbst wenn uns einige der Azubis des PAM-Programms nach ein paar Jahren wieder verlassen sollten, kehren damit gut ausgebildete Menschen zurück in ihr Heimatland und sind in der Lage, dort etwas aufzubauen.“
Die Bewerberinnen und Bewerber aus dem Ausland durchlaufen einen ähnlichen Prozess wie die lokalen Kandidatinnen und Kandidaten. „Nach Durchsicht der Lebensläufe haben wir einige Kandidaten zu einem Online-Vorstellungsgespräch eingeladen. Jeder, der das Programm erfolgreich abgeschlossen hat, beherrscht schon die deutsche Sprache. Daher geht es wie bei allen anderen auch um die fachliche und persönliche Eignung“, sagt Tanja Stadler. Nur auf den Praxistest vor Ort wird in diesem Fall verzichtet.
Selbst wenn uns einige der Azubis des PAM-Programms nach ein paar Jahren wieder verlassen sollten, kehren damit gut ausgebildete Menschen zurück in ihr Heimatland und sind in der Lage, dort etwas aufzubauen.
Das PAM-Programm
Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH fördert mit PAM seit 2019 eine faire und sichere Ausbildungs- und Arbeitsmigration, von der alle Seiten profitieren: Deutschland, die Kooperationsländer und die Auszubildenden und Fachkräfte selbst. PAM steht für „Partnerschaften für entwicklungsorientierte Ausbildungs- und Arbeitsmigration”. Die GIZ setzt das Programm in Vietnam, Jordanien und Ecuador im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) um.

Kleine Dialekt-Hürden und große Unterstützung
Dass sich Victoria Santacruz ausgerechnet bei Liebherr bewarb, war kein Zufall. „Liebherr kannte ich damals schon. Das Unternehmen ist weltweit bekannt und auch in Südamerika in mehreren Ländern vertreten“, erzählt die 21-Jährige. Den Beruf als Industriemechanikerin kannte sie sogar noch besser. Ihr Vater ist Mechaniker und hat eine eigene Werkstatt, in der sie auf dem Gebiet bereits erste Erfahrung sammeln konnte. Nur was sie in Deutschland erwartet, das wusste sie nicht wirklich. Zwar werden die zukünftigen Auszubildenden und Fachkräfte mit dem PAM-Programm gut vorbereitet. Sie lernen die Sprache, kulturelle Unterschiede und bekommen Unterstützung bei der Beantragung des Visums, aber die Einzigartigkeit der Region lernte Victoria Santacruz erst vor Ort kennen. „Hier begrüßt man sich zum Beispiel mit dem Wort ‚Servus‘. Das hatte ich noch nie zuvor gehört.“ Aber trotz der kleinen Dialekt-Hürde im Allgäu ist sie von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen worden. In den Pausen geht es viel um die kulinarischen Unterschiede. In der Kantine hat Victoria Santacruz Käsespätzle als ihr neues deutsches Lieblingsessen entdeckt, macht den Kolleginnen und Kollegen aber auch ihr Essen aus der Heimat schmackhaft. Am liebsten isst sie dort Encebollado. Eine beliebte Fischsuppe in Ecuador. Aber auch über die Pausen hinaus erfahren die „PAM-Azubis“ viel Unterstützung von Liebherr. „Selbstverständlich war zu Beginn etwas mehr Betreuung notwendig als sonst. Wir haben mit ihnen wichtige Behördengänge erledigt, ein Bankkonto eingerichtet oder bei Handyverträgen unterstützt. Aber sie haben sich sehr schnell eingelebt, waren offen und haben die richtigen Fragen gestellt“, so Tanja Stadler.

Ein erfolgreicher Abschluss
Bei der Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH wurde Victoria Santacruz in den vergangenen Jahren zu einer echten Expertin für das Fertigen von Gerätekomponenten ausgebildet. Sie lernt Arbeiten wie Drehen, Fräsen und Montieren und ist fähig komplette Produktionsanlagen zu warten und in Betrieb zu nehmen – also eine echte Allrounderin für die Produktion. Und um die Erfolgsgeschichte des kulturellen Austauschs perfekt zu machen: Wer einen bestimmten Notendurchschnitt in der Berufsschule erreicht, und im Ausbildungsbetrieb überzeugt, der hat die Möglichkeit auf eine Verkürzung der Ausbildungszeit und damit einer frühzeitigeren Festanstellung. „Victoria hat während der gesamten Ausbildungszeit hervorragende Leistungen erbracht, war bemüht und hat sich die Verkürzung ihrer Ausbildung verdient“, sagt ihr Ausbilder Stefan Weishaupt. Victoria Santacruz, die in ihrer Freizeit gerne liest, häkelt und mittlerweile auch das Wandern für sich entdeckt hat, bleibt dem Liebherr-Team in Lindenberg erstmal erhalten. „Ich freue mich auf meine Zeit nach der Ausbildung. Die Arbeit an den Maschinen macht mir große Freude. Ich beschäftige mich gerne mit den unterschiedlichen Materialien und vor allem das Programmieren ist super.“ Dank ihres Muts und ihrer Neugier kann Victoria Santacruz in eine spannende Zukunft blicken und beweist, dass es sich immer lohnt, die eigenen Grenzen zu überschreiten.
Neun schnelle Fragen an Victoria Santacruz
1. Was darf an deinem Arbeitsplatz nie fehlen?
Es gibt so viele wichtige Dinge – meine PSA (persönliche Schutzausrüstung), mein Notizbuch – und natürlich das Radio.
2. Lieblingsessen in der Kantine?
Morgens gibt es in der Kantine so etwas wie ein belegtes Brötchen namens Seelen – das mag ich sehr.
3. Wie würden dich andere beschreiben?
Fröhlich, aber ruhig, neugierig und freundlich.
4. Was sind deine privaten Ziele für die nächsten Jahre?
Ich möchte Schritt für Schritt eine bessere Version meiner selbst werden, neue Hobbys entdecken, Sprachen lernen, neue Menschen kennenlernen – und so weiter.
5. Hobbys?
Ich lese gern, häkle und habe mit dem Wandern angefangen.
6. Was war dein Traumberuf als Kind?
Ich wollte schon immer Ingenieurin werden – jemand, der etwas entwirft, entwickelt und damit der Gesellschaft hilft, sich weiterzuentwickeln.
7. Süß oder salzig?
Süß.
8. Kaffee oder Tee?
Früher war ich ein großer Teefan – aber seit ich in Deutschland bin, liebe ich Kaffee.
9. Meer oder Berge?
Beides! Die Berge im Alltag, das Meer für den Urlaub.


