
4 Minuten - Magazin 02 | 2025
Ein letztes Mal schweben
Im Jahr 1913 wurde bei Rendsburg in Norddeutschland eine riesige Eisenbahnbrücke über dem Nord-Ostsee-Kanal mit einer darunter hängenden Schwebefähre in Betrieb genommen. Im Januar 2016 kollidierte die Fähre nachts mit einem Frachtschiff. Dabei wurde die Transportgondel schwer beschädigt, außer Betrieb genommen und schließlich demontiert.
Schwebefähre aus der Kaiserzeit wird zur Imbiss-Lounge
Eine neu konstruierte Schwebefähre wurde Jahre später von zwei Liebherr-Mobilkranen wieder unter das Brückenbauwerk installiert. Nun wurde die damals havarierte Gondel erneut an die Kranhaken genommen. Das historische Metallgehäuse soll restauriert werden und künftig am Rendsburger Kanalufer als Fischimbiss und Musikbühne dienen. Bei Ankunft der alten Schwebefähre an ihrem neuen Standort herrschte Feierstimmung. Wir haben den ungewöhnlichen Transport begleitet.

Abgefahren: Vorbei an der alten Wirkungsstätte der Gondel durchquert der Schubverband die Rendsburger Hochbrücke. Dieses außergewöhnliche Denkmal hoher Ingenieurbaukunst ist eine der längsten Eisenbahnbrücken Deutschlands.
Neun Jahre lag sie auf dem Werftgelände des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes und war eigentlich schon zur Verschrottung vorgesehen. Jetzt wurde die Original-Gondel der Rendsburger Schwebefähre zu neuem Leben erweckt. Dazu waren 15 Mann der Kieler Niederlassung des Kranunternehmens Ulferts & Wittrock – unter ihnen Betriebsleiter Michael Kulbe – mit Transportfahrzeugen und Mobilkranen nach Rendsburg gekommen. „Drei Monate Planung“, so Kulbe, „sind diesem Einsatz vorausgegangen. Aufgrund der Vorgabe, den gesamten Umzug auf Tieflader und Schiff mit den dafür erforderlichen vier Kranhüben innerhalb von nur neun Stunden durchzuführen, sind wir mit ausreichend Personal nach Rendsburg gekommen.“
Mit im Gepäck hatte die Kieler Truppe zwei Krane von Liebherr. Auf dem Werftgelände bildete der erste der beiden LTM 1250-5.1 – bereits am Vortag einsatzbereit aufgebaut – den Auftakt zum großen Gondelumzug. Bei Sonnenaufgang wurde die alte Schwebefähre auf einen 6-Achs-Tieflader gesetzt und behutsam die erste Etappe bis zum Hafenbecken der Werft zurückgelegt. Dort übernahm anschließend der zweite Fahrzeugkran und platzierte die Stahlkonstruktion auf einen großen Ponton für den Wassertransport.

Im Hafenbecken der Kanalverwaltung wurde zuvor das alte Fährgehäuse auf einen Ponton gesetzt. Ein LTM 1250-5.1 hat hier die 40 Tonnen schwere Metallkonstruktion am Haken.
Fischbrötchen statt Fahrgäste
Seine Rettung vor Schweißbrenner und Schrottplatz verdankt das Stück Industriekultur Martin Sick. Der Unternehmer hatte die Idee, die Gondel zu erhalten und das historische Unikat künftig als lokale Attraktion und Geschäftsmodell am Rendsburger Ufer des Nord-Ostsee- Kanals zu nutzen. Für Besucher und Einheimische entstehen hier Plätze mit reizvollem Blick auf den Kanal.
Fischbrötchen und manchmal auch musikalische Leckerbissen werden hier künftig angeboten. Fischbrötchen gab es übrigens schon mal vorab. Und zwar für die zahlreichen Helfer, Sponsoren und auch für die Lokalprominenz kurz vor dem Ablegen des Schubverbandes aus Schlepper und Schute. Rund 30 Personen an Bord machten sich gemeinsam mit der Gondel auf den zwei Kilometer langen Wasserweg vom Hafen der Kanalverwaltung bis zum Ziel. Die kurze Fahrt führte auch unter der Hochbrücke hindurch, vorbei an der neuen Fähre und damit an der ehemaligen Wirkungsstätte der alten Gondel. Mehr als 100 Jahre hatte sie hier an langen Stahlseilen hängend ihren Dienst getan und beförderte Autos, Radfahrer und Fußgänger über die 120 Meter breite Wasserstraße. Auch für viele Kinder war das abenteuerlich anmutende Verkehrsmittel eine willkommene Abwechslung auf dem täglichen Schulweg.
Am Rendsburger Kreishafen angekommen, „schwebte“ die Fähre dann zum vermutlich letzten Mal. Wegen der erforderlichen Ausladung wurde das rund 40 Tonnen schwere historische Stück per Tandemhub vom Ponton gehoben und anschließend von einem der beiden Krane unter musikalischer Begleitung und den Blicken zahlreicher Gäste und Zuschauer an seinen zukünftigen Standort gesetzt. Am Ufer des Kanals wird die Gondel als technisches Denkmal sowie als Lounge für Besucher und Einheimische dienen – touristischer Hotspot statt Altmetall mit Blick auf die Hochbrücke und die vorbeifahrenden Schiffe und Containerriesen auf ihrem Weg zwischen Nord- und Ostsee.

Fast am Ziel: Einer der beiden 250-Tonnen- Krane übernimmt den letzten Teil der Aktion und setzt die alte Fährgondel an ihren zukünftigen Standort am Kanalufer.
Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 02 | 2025.


