Dekarbonisierung ist der Schlüssel
Luftfahrt verbindet: Täglich reisen Millionen von Menschen rund um den Globus. Die Branche steht jedoch vor einigen großen Herausforderungen wie Umweltauswirkungen und technologischem Fortschritt. Yann Juaneda, Director Engineering R&T bei Liebherr-Aerospace Toulouse SAS (Frankreich), und Sebastian Ziehm, Head of Program Management Technology Development bei Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH (Deutschland), geben Einblicke, wie Liebherr die Zukunft der Luftfahrt mitgestaltet, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern und welche Lösungen das Unternehmen bereits heute anbietet.

Wasserstoffprüfstand im Testzentrum von Liebherr-Aerospace in Toulouse (Frankreich)
Die Dekarbonisierung des Luftverkehrs ist ziemlich komplex und erfordert eine enge Zusammenarbeit im gesamten Ökosystem der Luftfahrt.
Wo liegen die Herausforderungen für die Dekarbonisierung der Luftfahrt im Allgemeinen?
Yann Juaneda: Die Herausforderungen sind vielfältig und reichen von der nach wie vor begrenzten Verfügbarkeit und den hohen Kosten nachhaltiger Flugzeugtreibstoffe bis hin zu regulatorischen und politischen Rahmen-bedingungen, die den Übergang zu neuen Technologien sowie deren Entwicklung und Einführung unterstützen.
Die Dekarbonisierung des Luftverkehrs ist ziemlich komplex und erfordert eine enge Zusammenarbeit im gesamten Ökosystem der Luftfahrt. Dazu gehören Flugzeughersteller, ihre Lieferkette, Fluggesellschaften, Flughäfen und schließlich die Passagiere selbst. Was wir als einer der Systemlieferanten zu diesem Ökosystem beitragen, sind innovative, zuverlässige und nachhaltigere Technologien für die heutige und die nächste Generation von Flugzeugen. Fly Net Zero ist die Verpflichtung der gesamten Luftfahrtindustrie, bis zum Jahr 2050 CO2-Neutralität zu erreichen, und die Ziele, die wir uns gesetzt haben, sind sehr anspruchsvoll.
Sebastian Ziehm: Der Rahmenplan des europäischen Green Deals und die strategische Forschungs- und Innovationsagenda, die ursprünglich 2012 von ACARE veröffentlicht und 2024 von Clean Aviation aktualisiert wurde, stellen die Weichen für die wichtigsten Ziele: klimaneutrale Luftfahrt bis 2050, unterstützt durch eine 30 %-ige Treibhausgasreduktion bis 2030 im Vergleich zu Flugzeugen aus dem Jahr 2020, eine Netto-Reduzierung der CO2-Emissionen um 90 % in Kombination mit nach-haltigen Kraftstoffen oder Wasserstoff und null CO2-Emissionen während des Fluges für wasserstoffbetriebene Flugzeuge.
Wie Yann bereits erwähnt hat, geht es beim Übergang zur Klimaneutralität nicht nur um neue Flugzeuge mit innovativen Technologien – auch die Infrastruktur, Treibstoffversorgungsketten und Zertifizierungsrahmen müssen neugestaltet werden, und das alles unter strengen wirtschaftlichen und ökologischen Auflagen. Dies ist ein Umbruch für das gesamte Luftfahrt-Ökosystem. Der Luftverkehr trägt mit etwa 2,5 % zu den weltweiten CO2-Emissionen bei, und die Nachfrage nach Luftmobilität wird sich bis 2050 voraussichtlich verdoppeln. Dies macht ihn zu einem der am schwierigsten zu dekarbonisierenden Sektoren, da die Entwicklungszyklen lang sind und zudem strenge Sicherheitsstandards gelten.
Wie geht Liebherr diese Herausforderungen an?
Sebastian Ziehm: Wir investieren kontinuierlich über dem Branchendurchschnitt in Forschung und Entwicklung in unseren Kompetenzbereichen wie Fahrwerke, Klimaanlagen- und Wärmemanagementsysteme sowie Flugsteuerungs-, Betätigungs- und Hydrauliksysteme. Bei unseren F&T-Projekten geht es darum, innovative Technologien für neue oder verbesserte Produkte zu entwickeln. Diese Innovationen werden unseren Kunden helfen, Flugzeuge mit weniger Treibhausgasemissionen zu bauen und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Yann Juaneda: Wir beteiligen uns an französischen, deutschen und europaweiten Forschungsprojekten, um gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft Lösungen zu finden. Wir sind beispielsweise eines der vielen Mitglieder des Clean Aviation Joint Undertaking (CAJU), dem führenden Forschungs- und Innovationsprogramm der Europäischen Union. Ziel von CAJU ist es, ein Flugzeug zu entwickeln, das während seiner Entwicklung, Produktion und seinem Betrieb einen geringen CO2-Fußabdruck aufweist. Im Flug selbst kann dies durch eine verbesserte Aerodynamik, Effizienzsteigerung der Flugzeugsysteme, den Einsatz nachhaltiger Treibstoffe oder durch die Verwendung von Wasserstoff als Energieträger erreicht werden.
Wir arbeiten auch eng mit Industriepartnern im Rahmen des Conseil pour la Recherche Aéronautique Civile zusammen. Dabei handelt es sich um ein französisches Forschungs- und Entwicklungsprogramm, das sich auf die Dekarbonisierung und die Sicherheit im Luftverkehr konzentriert.
In Deutschland ist das Luftfahrtforschungsprogramm die wichtigste Finanzierungsquelle für unsere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Neben unseren Kernprodukten und -technologien verbessern wir natürlich auch kontinuierlich unsere eigenen Entwicklungs- und Produktionseinrichtungen sowie unsere Prozesse. Dazu gehören beispielsweise die Durchgängigkeit sowie die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen in Entwicklung und Fertigung sowie die Recyclingfähigkeit während des Produktlebenszyklus, also das, was wir wiederverwenden können.
Liebherr spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung effizienterer und nachhaltigerer Flugzeuge der nächsten Generation.
Auf welche Produkte konzentriert sich Liebherr-Aerospace?
Sebastian Ziehm: Unsere aktuelle Forschung konzentriert sich auf mehrere Kernbereiche, darunter die Entwicklung von elektrischen Aktuatoren der nächsten Generation, elektrischen Klimatisierungssystemen, Hilfsaggregaten zur Stromversorgung, elektrisch betriebener Hydraulikversorgung sowie dem Wärme- und Energiemanagement für zunehmend elektrisch betriebene Flugzeuge. Die Einführung eines stärker elektrifizierten Flugzeugkonzepts ist eine Schlüssel-Strategie zur Steigerung der Energieeffizienz und damit zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen.
Einige Beispiele: Das Konzept unserer neuen Familie kleiner elektromechanischer Stellantriebe ermöglicht die Abkehr von einer kundenspezifischen Konstruktion hin zu einer kundenspezifischen Montage standardisierter Module. Unser Konstruktionsansatz bietet Skalierbarkeit für kleine Einbauräume, ein optimiertes Verhältnis zwischen Leistung und Gewicht sowie ein hohes Maß an Zuverlässigkeit.
Unsere universelle elektronische Steuereinheit passt perfekt zu diesen elektromechanischen Aktuatoren. Sie ermöglicht die System- und Positionssteuerung, Datenkonzentration, Überwachung und Signalumwandlung.
Als Bestandteile unseres Familienkonzepts für kleine elektromechanische Stellantriebe sind sowohl die elektronische Steuereinheit als auch die kleinen elektromechanischen Aktuatoren technologische Wegbereiter für neue Funktionen, die für zukünftig sehr dünne Flügel mit hoher Streckung erforderlich sind. Diese Funktionen können die Flügelstruktur vor strukturellen Belastungen durch Windböen und Flattern schützen. Wenn sich die Flugzeughersteller also für Flügel mit hoher Streckung entscheiden, um die CO2-Emissionen von Flugzeugen zu senken – und die Anzeichen dafür sind heute ganz klar erkennbar –, dann sind wir mit unserem in der Entwicklung befindlichen Liebherr-Technologieportfolio gut aufgestellt.
Yann Juaneda: Eines unserer Projekte besteht aus einem energieeffizienteren elektrischen Klimatisierungssystem. Anstatt Luft aus den Triebwerken abzuzapfen, verwendet das elektrische Klimatisierungssystem ausschließlich Umgebungsluft. Das bedeutet, dass den Triebwerken mehr Schub zur Verfügung steht und dass das System auf hocheffizienten elektrisch angetriebene Turbomaschinen basiert.
Architekturen mit weniger Zapfluftbedarf machen ebenfalls vielversprechende Fortschritte hinsichtlich Integration, Zuverlässigkeit und Effizienz, für den Fall, dass pneumatische Energie weiterhin der beste Kompromiss für das Flugzeug bleibt.
Sebastian Ziehm: Nicht zuletzt arbeiten wir intensiv an fortschrittlichen Materialien und Fertigungstechniken wie der additiven Fertigung, um eine deutliche Gewichtsreduzierung unserer Produkte bei gleichbleibender oder verbesserter Leistung zu erreichen. Dies ermöglicht auch neue Gestaltungsfreiheiten für komplexe Geometrien, trägt zur Reduzierung von Materialabfällen bei, ermöglicht eine individuelle Anpassung und verkürzt die Vorlaufzeiten, beispielsweise für frühe Prototypen in der Entwicklung.
Zusammenfassend kann man sagen, dass wir an der Spitze der Innovation stehen und dass Liebherr eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung effizienterer und nachhaltigerer Flugzeuge der nächsten Generation spielt.

