Liebherr-Krane bauen havarierte Rendsburger Schwebefähre wieder auf

An langen Stahlseilen unter einer Eisenbahnhochbrücke hängend, bringt die Fähre, dieses nostalgisch anmutende Transportmittel aus den 1910er-Jahren, Autos, Fußgänger und Radfahrer über die stark befahrene Wasserstraße. Die knapp zwei Minuten währende Überfahrt ist den Kindern stets eine willkommene kleine Pause. An besagtem Januarmorgen endet der Schulweg fürs Erste jedoch an der Anlegestelle. Die Fähre hängt schwer beschädigt und unbeweglich mitten über dem Kanal. Schiffe zur Bergung treffen gerade ein. Großes Kino für die Kleinen. Am frühen Morgen war die Gondel der Schwebefähre bei Dunkelheit mit einem Frachtschiff kollidiert.

Stahl, Stahl, Stahl: Große Nietköpfe prägen die Oberflächen des stählernen Brückenbauwerks. Über drei Millionen Nieten halten die beeindruckende Konstruktion zusammen.
Stahl, Stahl, Stahl: Große Nietköpfe prägen die Oberflächen des stählernen Brückenbauwerks. Über drei Millionen Nieten halten die beeindruckende Konstruktion zusammen.

Die Schäden an Schiff und Fähre damals waren enorm. Zwei Verletzte gab es auf der Gondel zu beklagen, die um diese frühe Tageszeit nur schwach besetzt war. Das unter der Eisenbahnbrücke hängende historische Gefährt aus der Zeit des Deutschen Kaiserreichs war nicht mehr zu reparieren. Zusammen mit seinem Fahrwerk in rund 40 Meter Höhe wurde es in den Folgemonaten vollständig abgebaut. Im vergangenen Herbst nun konnten die komplett neu gefertigten Komponenten der Fähranlage wieder installiert werden. Mehrere unserer Krane waren bei der Instandsetzung als Hauptakteure dabei.

Die Eisenbahnhochbrücke in Rendsburg gehört zu den herausragenden Technikdenkmälern in Deutschland. Erbaut wurde sie in den Jahren 1911 bis 1913 und ist Teil der Bahnstrecke nach Dänemark. 42 Meter misst die Durchfahrtshöhe für Kanalschiffe, die zwischen Nord- und Ostsee verkehren. Für die Züge beginnt die Steigung, um auf diese Höhe zu gelangen, schon kilometerweit vor dem Kanal. Was diese mit Millionen Nieten zusammengehaltene Stahlbrücke aber zu etwas ganz Besonderem macht, ist die an ihrer Unterseite hängende Fährgondel, die gut drei Meter über der Wasseroberfläche „schwebend“ kostenlose Passagen über die Wasserstraße anbietet. Weltweit sind insgesamt nur acht solcher Schwebefähren in Betrieb. Das ausgefallene Vehikel in Rendsburg ist jedoch die einzige davon, die an einer Eisenbahnbrücke hängt.

Technische Ästhetik oder ästhetische Technik: Das heute denkmalgeschützte Brückenbauwerk wurde vor rund 110 Jahren als Meisterleistung der Ingenieurskunst gefeiert.
Technische Ästhetik oder ästhetische Technik: Das heute denkmalgeschützte Brückenbauwerk wurde vor rund 110 Jahren als Meisterleistung der Ingenieurskunst gefeiert.

Mehr als doppelt so viel Stahl wie der Eiffelturm

Und die ist in ihrer Gesamtheit von gewaltiger Dimension. Für die stählerne Brücken- und Rampenkonstruktion mit fast 2.500 Meter Länge waren beim Bau 17.300 Tonnen Stahl verwendet worden. Weit über die doppelte Menge, die für die Errichtung des Eiffelturms in Paris erforderlich war. Das Bauwerk mit seiner Gesamtlänge von 7,5 Kilometern war damals in nicht einmal drei Jahren Bauzeit fertiggestellt worden. Schier unglaublich, denn gut 100 Jahre später hat allein das Austauschen der Schwebefähre volle sechs Jahre gedauert. Bürokratie, Auftragsvergabe und technische Herausforderungen wie der Einbau von Sicherheitsvorrichtungen haben zeitlichen Tribut gefordert. Zudem hat die Pandemie dem Plan der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, das System so schnell wie möglich zu reparieren, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mehrmals war der Zeitplan korrigiert, die Wiederaufnahme des Pendelverkehrs über den Kanal ein ums andere Mal verschoben worden. Vergangenen Sommer war es dann endlich soweit: Der Fährneubau war fertiggestellt und konnte wieder eingebaut werden.

Teamwork: Stefan Heldt, Geschäftsführer von Wille & Dulies Krane GmbH (rechts) hat zusammen mit Ralf Rohwer vom gleichnamigen Metall- und Stahlbauunternehmen die Kranarbeiten an der Hochbrücke in Rendsburg geplant. Foto: Ines Krisch / Rohwer Stahl- & Metallbau GmbH
Teamwork: Stefan Heldt, Geschäftsführer von Wille & Dulies Krane GmbH (rechts) hat zusammen mit Ralf Rohwer vom gleichnamigen Metall- und Stahlbauunternehmen die Kranarbeiten an der Hochbrücke in Rendsburg geplant. Foto: Ines Krisch / Rohwer Stahl- & Metallbau GmbH

Rollenköpfe extrem nah am Brückenbauwerk

Im September rückten mehrfach Mobilkrane der Wille & Dulies Krane GmbH aus Harrislee bei Flensburg, unterstützt von Wille-Krane in Kiel, nach Rendsburg aus. Auf der Baustelle am Südufer des Kanals musste in einer ersten Etappe zunächst die Antriebssektion mit zwei Kranen direkt unter der Brückenebene in über 40 Meter Höhe eingebaut werden. Dafür war neben einem modernen 250-Tonnen-Mobilkran auch das stärkste Fahrzeug der Kranflotte von Wille, ein LTM 1450-8.1, am Ufer positioniert worden.

Ein ziemlich komplizierter Job wartete auf die beiden Kranfahrer Florian Clausen und René Nestler. Für den Tandemhub hatten sie ihre Liebherr-Krane jeweils auf einer Seite des mächtigen Fachwerkpfeilers aufgebaut. „Weil der Fahrwagen schmaler ist als das Brückenbauwerk selbst und die Spitzen der Teleskopausleger deswegen extrem nah an die Brücke heranmussten, war der Einbau schon ziemlich knifflig”, erläutert Ralf Rohwer die Herausforderungen vor Ort. Mit seinem auf Stahl- und Metallbau spezialisierten Unternehmen hat Rohwer die Montage des neuen Fährsystems an dem Baudenkmal ausgeführt. „Bei dem komplexen Vorgang, die Rollen der Antriebseinheiten des Wagens oben auf die Schienen zu bekommen, hatten wir zwischen Brücke und Rollenköpfen manchmal kaum 50 Zentimeter Luft.“

Schwebt bald wieder von alleine: Zwei Liebherr Mobilkrane holen den 44 Tonnen schweren Gondel-Neubau vom Ponton an Land. Einhundert Personen und vier Autos finden auf der Fähre Platz. Foto: Ines Krisch / Rohwer Stahl- & Metallbau GmbH
Schwebt bald wieder von alleine: Zwei Liebherr Mobilkrane holen den 44 Tonnen schweren Gondel-Neubau vom Ponton an Land. Einhundert Personen und vier Autos finden auf der Fähre Platz. Foto: Ines Krisch / Rohwer Stahl- & Metallbau GmbH
Seereise: Rund 200 Kilometer lang war die Anfahrt des Pontons nach Rendsburg. In Brake (Unterweser) waren die Komponenten der neuen Schwebefähre in zweijähriger Bauzeit angefertigt worden. Foto: Ines Krisch / Rohwer Stahl- & Metallbau GmbH
Seereise: Rund 200 Kilometer lang war die Anfahrt des Pontons nach Rendsburg. In Brake (Unterweser) waren die Komponenten der neuen Schwebefähre in zweijähriger Bauzeit angefertigt worden. Foto: Ines Krisch / Rohwer Stahl- & Metallbau GmbH

Das präzise Ausbalancieren der Last an den Kranhaken, der eigentliche Hub und die diffizile Installation an der Brückenunterseite haben viele Stunden in Anspruch genommen. Abschließend musste der größere Kran umsetzen und auf einer Seite des Fahrwagens noch den Antrieb einbauen – ebenfalls filigrane Zentimeterarbeit in luftiger Höhe und somit erneut eine kleine Herausforderung für alle Beteiligten. „Letztendlich hat aber alles wirklich super geklappt“, zeigt sich Rohwer höchst zufrieden über die gelungene Montage.

Unikum: Die Schwebefähre in Rendsburg ist die weltweit einzige, die an einer Eisenbahnbrücke hängt. Knapp zwei Minuten benötigt die Gondel für die 140 Meter lange Passage. Hier ein Bild aus Zeiten vor der Havarie.
Unikum: Die Schwebefähre in Rendsburg ist die weltweit einzige, die an einer Eisenbahnbrücke hängt. Knapp zwei Minuten benötigt die Gondel für die 140 Meter lange Passage. Hier ein Bild aus Zeiten vor der Havarie.

Platz für vier Autos und 100 Personen

Der Hub der eigentlichen Fähre, der sogenannten Fahrbühne, war eine Woche später dann eher ein Routinevorgang. Der Job für diesmal zwei LTM 1450-8.1 war vergleichsweise simpel. Die Mobilkrane holten die 44 Tonnen schwere Gondel von dem Ponton, der am Morgen zur Hochbrücke geschleppt worden war. Die Last wurde auf hölzernen Unterlagen unter der Hochbrücke präzise ausgerichtet und abgesetzt. In dieser Position konnte die weiße Fährgondel dann über Stahlseile an den Fahrwagen gehängt werden.

Die Rendsburger Schwebefähre kann künftig bis zu vier Autos und einhundert Personen in ihrer Transportgondel mitnehmen. Der optisch dem Original ähnelnde Neubau war in zweijähriger Bauzeit in Brake bei Bremen hergestellt und auf dem Wasserweg über Weser, Nordsee und Elbmündung nach Brunsbüttel und von dort weiter auf dem Nord-Ostsee-Kanal bis nach Rendsburg geschleppt worden.

Pendler und Touristen dürfen darauf hoffen, dass nach den Wintermonaten die Zeit der Testphase und Probeläufe der neuen Fähranlage zu Ende geht und der reguläre Betrieb wieder aufgenommen werden kann. Vor allem aber die Kinder, die über viele Jahre einen längeren Schulweg in Kauf nehmen mussten, dürften sich freuen. Auf die kleine Rast in der Schwebefähre aus der Deutschen Kaiserzeit.

Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 01 | 2022.

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