„Nichts ist grüner als Luft.“

Wo stehen wir mit den Kühltechnologien heute und was bringt die Zukunft? Gibt es übergreifende Trends und Herausforderungen? Das beleuchten drei Liebherr-Experten, die alle im Bereich Forschung und Entwicklung arbeiten – jedoch in ganz unterschiedlichen Produktsegmenten: Thomas Obererlacher bei den Liebherr-Hausgeräten, Laurent Hartenstein im Bereich Aerospace und Reinhard Aigner in der Verkehrstechnik.

Reinhard Aigner, Verkehrstechnik
Reinhard Aigner, Verkehrstechnik

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Starten wir direkt mit der Verkehrstechnik. Herr Aigner – egal ob Zug, Metro oder Straßenbahn. Wie kühlen wir aktuell?

Reinhard Aigner: Die Kühlung erfolgt nach dem Prinzip der Kompressionskälteanlage. Dabei sind synthetische Kältemittel noch am häufigsten im Einsatz. Je nach Anwendungsbereich arbeiten wir aber auch mit CO2 oder Luft als Kältemittel.

Unsere Kunden in der Verkehrstechnik-Branche verwenden, mit wenigen Ausnahmen, eher traditionelle Kältemittel. Technologien setzen sich nur mit genügend Nachfrage durch. Der Druck, etwas zu ändern, wird hier besonders von den Institutionen ausgeübt: beispielsweise mit der F-Gase-Verordnung der europäischen Union. So haben wir – nach Klimaanlagen mit Luftkreislauf im ICE3 der Deutschen Bahn – nun mit der ÖBB, der österreichischen Bundesbahn, auch unseren ersten Auftrag für Klimaanlagen mit CO2 als Kältemittel erhalten.

Der allgemeine Trend in der Klimatisierung geht sehr stark in Richtung des Einsatzes von CO2, Luft oder weiterer natürlicher Gase mit niedrigem Treibhauspotential. Die Hausgeräte verwenden in ihren Kühlkreisläufen beispielsweise Propan und Butan. Für die Verkehrstechnik weisen diese Stoffe bei den notwendigen Mengen aber einen erheblichen Nachteil auf: Sie sind leicht brennbar.

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Hausgeräte sind ein gutes Stichwort. Herr Obererlacher, was ist bei Kühlschränken anders – besonders technologisch?

Thomas Obererlacher: Im Vergleich zu anderen Branchen ist Kühltechnologie bei uns bereits recht grün – da mit Strom gekühlt wird und der Energieverbrauch in den letzten Jahren erheblich reduziert wurde. Auch für die Zukunft arbeiten wir mit Nachdruck daran, die Kältetechnik immer noch effizienter und somit nachhaltiger zu machen. Schon lange redet man dabei auch über ‚neue Kältetechnologien‘. Ob sich diese allerdings langfristig durchsetzen, ist derzeit noch nicht absehbar.

Wir fokussieren uns auf die idealen Lagerbedingungen für jedes Lebensmittel.

Thomas Obererlacher, Kühl- und Gefriergeräte

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Was verstehen Sie unter ‚neuen Kältetechnologien‘?

Thomas Obererlacher: Beispiele neuer Technologien sind die sogenannten kalorischen Verfahren. Hierbei handelt es sich um Kühlsysteme, die ohne Kompressor und Kältemittel auskommen. Dabei wird in einem entsprechenden kalorisch sensiblen Material durch das Anlegen eines zyklisch wechselnden Feldes – dieses kann magnetisch, elektrisch oder mechanisch sein – eine Temperaturänderung bewirkt, die zur Kühlung verwendet werden kann. Diese Technologien beobachten wir. Ein Einsatz macht allerdings erst dann Sinn, wenn bezüglich Energieverbrauch und Nachhaltigkeit gravierende Vorteile entstehen. Im Bereich der Liebherr-Hausgeräte erkennen wir jedoch schon heute viele andere Innovationen zeitnah als attraktiver.

Wir fokussieren uns auf die idealen Lagerbedingungen für jedes Lebensmittel. Hier arbeiten wir laufend an neuen Lösungen, wie z.B. unserer BioFresh Technologie, bei der Lebensmittel unter optimalen Bedingungen lagern, um die Haltbarkeit zu verlängern und so einen Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung zu leisten. Ein weiteres Beispiel ist unser BioFresh Professional mit dem brandneuen Feature HydroBreeze, bei dem bei jeder Türöffnung ein kalter Frischenebel erzeugt wird.

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt ist der Einsatz von neuen intelligenten Materialien und Komponenten zur Herstellung von nachhaltigen Produkten oder auch die Digitalisierung.

Thomas Obererlacher, Kühl- und Gefriergeräte
Thomas Obererlacher, Kühl- und Gefriergeräte

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Welche Effekte hat die Digitalisierung auf die Kühlung?

Thomas Obererlacher: Eines ist klar: Technik wird in Zukunft immer schlauer! Kühlgeräte erfordern schon lange mehr als nur einfache Temperierung. Wir sprechen deshalb viel lieber vom optimalen Lagerklima für die perfekte Frische. Die Kunden werden in Zukunft weniger häufig zum Einkaufen müssen, da ihre Geräte die Lebensmittel länger und besser lagern können. Das heißt wiederum, dass weniger weggeworfen werden muss. Das sollte unser aller Anspruch sein.

Was das mit Digitalisierung zu tun hat? Ein Beispiel, wie dies in Zukunft aussehen könnte:

Nehmen wir an, jemand geht immer am Samstagmorgen zum Großeinkauf. Das Kühlgerät wird dieses Verhalten über seine intelligenten Sensoren wahrnehmen. Diese gewonnenen Erkenntnisse werden durch einen speziellen Regelalgorithmus in eine optimale Gerätesteuerung übersetzt. Das heißt in unserem Beispiel: Das Gerät nutzt den regenerativen, günstigen Nachtstrom von Freitag auf Samstag um die Temperatur unter den Sollwert zu regeln. Wenn nun viel frische Ware nach dem Einkauf in den Kühlschrank kommt, steht bereits ausreichend günstige Kälte zur Verfügung. Ein deutlicher Temperaturanstieg durch viel frische Ware wird somit vermieden. Das Gerät muss nicht in den ‚Stressmodus‘ und die Lebensmittel sind weniger schädlichen Temperaturschwankungen ausgesetzt. Die Folge: Länger frische Lebensmittel durch intelligenten Kühleinsatz und das bei mehr Effizienz.

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Mit der Effizienz können wir einen Bogen in die Aerospace-Branche schlagen: Herr Hartenstein, welche Rolle spielt effiziente Kühlung in der Luftfahrt?

Laurent Hartenstein: Wenn wir uns die moderne Luftfahrt anschauen, liegt die Effizienz nicht in der Kühlleistung. Energieeffiziente Systeme müssen die Funktionen Klimatisierung, Luftqualität und komfortabler Kabinendruck abdecken.

Schon seit ihren Anfängen ist die Luftfahrtindustrie ein sehr leistungsintensives Geschäft. Die Technologien in der Branche entwickeln sich ständig weiter, angetrieben von wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren. Nachhaltige Lösungen, die die Flugzeuge ‚grüner‘ machen, sind heute ein Muss. Es geht darum, die Auswirkungen der Luftfahrt auf die Umwelt zu mindern, indem der Treibstoffverbraucht gesenkt oder ‚grünere‘ Treibstofflösungen ermöglicht werden.

Nachhaltige Lösungen, die die Flugzeuge ‚grüner‘ machen, sind heute ein Muss.

Laurent Hartenstein, Aerospace

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Und welche konkreten Technologien kommen bei Liebherr-Aerospace zum Einsatz?

Laurent Hartenstein: Die Klimaanlage ist einer der größten Energieverbraucher an Bord eines Passagierflugzeugs. Zwei bis drei Prozent der Triebwerksleistung werden für die Klimatisierung der Flugzeugkabine verwendet. Das entspricht etwa einem Kilowatt pro Passagier. Diese Funktion effizienter zu gestalten ist daher ein wichtiges Unterscheidungskriterium, das angestrebt werden muss, um ‚best in class‘ Produkte anzubieten.

Unsere Herausforderung besteht nun darin, den technologischen Vorsprung innerhalb der breiten Palette von Produkten aufrechtzuerhalten, die wir benötigen, um den Anforderungen unseres Marktes gerecht zu werden. Das erfordert technologische Anstrengungen in vielen Bereichen: Von Kaltdampfkompressionskreisläufen zur Turbomaschine. Der Kaltdampfkompressionskreislauf – ähnlich denen, die im Segment der Kühl- und Gefriergeräte verwendet werden – macht zehn Prozent des Marktes für 'kleine' Flugzeuge aus. Turbomaschinen, die die Luft selbst als Kühlmittel nutzen, machen dagegen neunzig Prozent des Marktes aus. Nichts ist grüner als Luft, wenn es um den Treibhauseffekt geht!

Eine der wichtigsten technologischen Veränderungen, die in diesem Streben nach Effizienz genannt werden können, ist der Wechsel bei den Luftsystemen. Herkömmliche Systeme verwenden Luft, die aus den Hochdruck-Kompressionsstufen der Antriebe gewonnen wird. Sie verarbeiten diese, um einen angemessenen Komfort in der Kabine zu erreichen. Das ist aber im Prozess mit einer erheblichen Energieverschwendung verbunden. Deshalb führen wir ein innovatives System ein, das Umgebungsluft verwendet. Es verbraucht nur die notwendige Energie, um sie in die Kabine zu bringen. Dies hat den Vorteil, dass der Stromverbrauch für diese Anwendung drastisch reduziert wird und immer die höchstmögliche Qualität bei der Luftzufuhr für die Passagiere gewährleistet ist.

Laurent Hartenstein, Aerospace
Laurent Hartenstein, Aerospace

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Welche Potenziale sehen Sie denn bei Brennstoffzellen und E-Antrieben?

Laurent Hartenstein: Diese Technologien bedeuten einen großen Schritt über das konventionelle Flugzeug hinaus und erfordern neue Konzepte für Flugzeug- und möglicherweise für Antriebssysteme. Sie stellen eine vollständige oder teilweise Alternative zur Verwendung fossiler Brennstoffe dar und werden daher eingehend untersucht, um die Auswirkungen der Luftfahrt auf die Umwelt drastisch zu verringern.

Brennstoffzellen werden bereits in stationären und automobilen Anwendungen eingesetzt. Die Kühlung von Brennstoffzellen zu beherrschen, ist eindeutig eine Voraussetzung dafür, dass diese Technologie in vollem Umfang in der Luftfahrt eingesetzt werden kann. Das ist ein Vorteil für uns.

Die Vorbereitungen für diese zukünftigen Aktivitäten haben bereits begonnen: Auf Systemebene durch unser Wissen über integrierte luftgestützte Kühlsysteme und wichtige Kernprodukte, wie motorisierte Turbomaschinen und Wärmetauscher.

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Herr Aigner, im Bereich Verkehrstechnik sieht es da schon anders aus. E-Mobilität und Brennstoffzellen sind für Autos keine Zukunftsmusik mehr. Wie mischt Liebherr da mit?

Reinhard Aigner: Bei der Kühlung im Kontext der E-Mobilität sind wir schon dabei – bei Schnellladestationen für E-Autos oder Batteriekühlung von batteriebetriebenen Bus- oder Bahnfahrzeugen. Das schnellere Laden bei E-Autos wird durch höhere Spannung und Strom möglich. Mit sogenannten ‚Thermal Conditioning Units‘ werden bei diesen Schnellladestationen die zum Laden verwendeten Kabel und Stecker mit einer Flüssigkeit gekühlt, um die Ladezeit deutlich zu reduzieren.

Auch in Zukunft muss die Ladeleistung mit dem Ausbau der E-Mobilität weiter erhöht werden. Parallel dazu soll auch der Komfort des Ladens z.B. durch einen induktiven Ladevorgang, also kabelloses Laden, erhöht werden. Auch hier könnte die induktive Ladestation für einen effizienten und raschen Ladevorgang eine Kühleinrichtung benötigen und unsere Kühlungssysteme dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Entwicklung von Kühltechnologien bewirkt große Veränderungen beim Verhalten der Menschen.

Laurent Hartenstein, Aerospace

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Wie man sieht ist und bleibt Kühlung und Klimatisierung für Liebherr ein sehr diverser und umfangreicher Bereich. Könnte man die Parallelen irgendwie zusammenfassen?

Laurent Hartenstein: Ich sehe die Kühltechnologien in erster Linie als 'Etwas, das die Menschen befähigt'. Die Entwicklung von Kühltechnologien bewirkt große Veränderungen beim Verhalten der Menschen. Dies gilt für alle Bereiche, in denen Liebherr bei Kühlung involviert ist:

Die Erfindung des Kühlschranks und der dahinterstehenden Technologie hat die Art und Weise, wie Menschen leben und mit Lebensmitteln umgehen, völlig verändert: Welches Produkt sie konsumieren und auf welches sie Zugriff haben, wie sie es konsumieren, und so weiter.

Die Situation in der Luftfahrt-Industrie ist ähnlich: Bis in die 1940er Jahre bestand die einzige Möglichkeit, die Kabinenumgebung – das heißt Druck und Temperatur – für die Passagiere verträglich zu gestalten, darin, in niedriger Höhe zu fliegen. Ein Flug von München nach New York dauerte über 20 Stunden mit mehreren Zwischenlandungen und konnte nur 30 Passagiere befördern! Die Erfindung einer klimatisierten Druckkabine und die damit verbundene Technologie haben die Reisemöglichkeiten und -kosten in der Luftfahrt erheblich verändert: Langstreckenflüge werden für viel mehr Menschen über verschiedene Zeitzonen hinweg zugänglich.

Was uns alle bei Liebherr antreibt, ist der Anspruch, den technologischen Fortschritt voranzureiben. Wir investieren kontinuierlich in die Weiterentwicklung aller unserer Produkte, damit sie Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit bieten können.

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