Pressemitteilungen | 27.09.2017 Sondereinsatz für Hydraulikzylinder: Die Brücken-Brecher

Forscher an der Technischen Universität (TU) München haben einen neuen Prüfstand für Betonbrückenträger entwickelt. Um deren Tragfähigkeit künftig besser berechnen zu können, pressen sechs Hydraulikzylinder von Liebherr Components mit voller Kraft, bis das Element bricht. Die dabei gesammelten Daten helfen, neue schlankere Konstruktionen aus ultrahochfestem Beton zu entwickeln. Vor allem aber auch, tausende bestehende Brücken zu retten.

Servohydraulisch ansteuerbare Zylinder von Liebherr.

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Neuer Prüfstand für Betonbrückenträger.

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Die Forscher am Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München haben es sich zur Aufgabe gemacht, neue Erkenntnisse für die Berechnung von Brücken zu gewinnen. Um eine detaillierte Berechnungsgrundlage für die Statik von vorgespannten Brückenträgern zu schaffen, müssen die tonnenschweren Konstruktionen erst einmal bis zum Versagen belastet werden. Keine leichte Aufgabe bei Trägern mit einer Länge von 20 Metern und mehr. „Allein die Handhabung solcher Betonträger ist aufwendig, ganz abgesehen von den Kosten. In der Vergangenheit wurde deshalb meist an verkleinerten Modellen mit einer Querschnittshöhe von 20 bis 30 Zentimetern (cm) getestet. Versuche mit realitätsnahen Querschnittshöhen gibt es nur sehr wenige“, erklärt Nicholas Schramm, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München und seit eineinhalb Jahren mit dem Aufbau einer neuen Versuchsanlage betraut. Dort verfolgt man einen neuen Ansatz auf Basis des sogenannten Substrukturprinzips: Anstelle ganzer Betonbrückenträger werden nur diejenigen Teilbereiche untersucht, in denen das Versagen der Konstruktion auftritt – dafür aber bei gleichbleibender Querschnittshöhe. Dadurch können die Abmessungen der Versuchskörper um ca. drei Viertel reduziert werden. Bei einem Brückenträger mit 20 Metern Länge also auf ein Teilelement von 5 Metern. So lassen sich Herstellung, Transport, Handhabung und Entsorgung stark vereinfachen und natürlich auch die Kosten deutlich reduzieren. Das Ziel: Möglichst viele Tests mit vertretbarem Aufwand zu absolvieren.

Kräftig drücken bis es knirscht

Zur experimentellen Untersuchung plante und baute das Team um Prof. Oliver Fischer einen besonderen Versuchsstand, der die erforderlichen Kräfte aufbringt: Ausgelegt aufb2 / 4 maximale Querschnittshöhen der Teilelemente von 1,8 Metern und Breiten von 1,3 Metern bietet er die Möglichkeit zur Lastaufbringung von 3,3 Meganewtonmetern (MNm) für das maximale Biegemoment und 3,2 Meganewton (MN) für die maximale Querkraft. Herzstück der Anlage sind sechs doppelwirkende Hydraulikzylinder, die für den konstant ansteigenden massiven Druck sorgen. „Jeder dieser Zylinder bringt eine maximale Druckkraft von bis zu 1,6 MN und eine Zugkraft von maximal 1,1 MN auf und ist damit für seine Größe besonders effizient“, sagt Sven Weckwerth. Er ist Salesmanager für Hydraulikzylinder bei der Liebherr-Components Kirchdorf GmbH. Das Unternehmen entwickelt und fertigt im württembergischen Kirchdorf jährlich rund 50.000 Hydraulikzylinder, Dämpfer und Hydrauliksysteme. „Bei Testprüfständen gilt es immer, individuelle Anforderungen zu meistern, die spezifische Kenntnisse der Anwendung erfordern. Darüber hinaus bilden der vorhandene Einbauraum, der gewünschte Hub und die erforderliche Kraft wichtige Faktoren bei der Zylinderauslegung. Wir haben von der TU München sehr gut definierte Vorgaben erhalten und konnten auf dieser Basis einen vorhandenen Zylinder adaptieren“, so Weckwerth.

Grundvoraussetzung für den Erfolg ist bei Sonderprojekten die reibungslose Abstimmung. „In einem intensiven Austausch wurden gemeinsam mit Liebherr die Besonderheiten der Konstruktion und die mechanischen Schnittstellen geklärt, was trotz Zeitdruck bestens funktionierte“, sagt Nicholas Schramm. Und Sven Weckwerth bestätigt: „Das war von Anfang an eine schöne Zusammenarbeit, bei der wir auch unser Know-how für die optimale Ausfertigung der maßgeschneiderten Lösung einbringen konnten.“ In der Folge ergab sich auch noch ein Kontakt zur Liebherr-Mischtechnik, da für die ersten Betonagen mit ultrahochfestem Beton in einem Fertigteilwerk ein Tellermischer mit sehr hoher Mischenergie benötigt wurde.

Realitätsnahe Grundlagen sollen Bestandsbrücken retten

Aktuell laufen am Lehrstuhl für Massivbau der TU München drei Forschungsprojekte zur Untersuchung der Quertragfähigkeit von vorgespannten Brückenträgern. Einerseits wollen die Wissenschaftler weitere Erkenntnisse zur Bemessung neuartiger Träger aus ultrahochfestem, faserbewehrtem Beton gewinnen, andererseits besteht ein akuter Bedarf zur Verfeinerung der Bemessungsansätze für die Nachrechnung von Bestandsbrücken. „Bei vielen älteren Brücken aus den 60er- oder 70er-Jahren besteht die Notwendigkeit, die zugrunde liegenden Berechnungsmethoden und -modelle anzupassen. Ausgelegt für das damalige Verkehrs- und Lastaufkommen, entsprechen sie heute nicht mehr den gestiegenen Anforderungen“, erläutert Nicholas Schramm die Problematik. „Wir wissen aber auch, dass die statischen Berechnungen in den 60er-Jahren teilweise mit vereinfachten Berechnungsansätzen erfolgten und somit womöglich häufig Reserven vorhanden sind – die Brücken halten also vermutlich deutlich mehr aus.“ In vielen Fällen könnte durch eine detaillierte und fundierte Nachrechnung mit neuen Ansätzen ein deutlich höheres zulässiges Lastniveau bestätigt werden und damit der teure Abriss und Neubau oder die aufwendige Restauration des Bauwerks vermieden werden. Dafür sind aber weitere, realitätsnahe Daten aus Bauteilversuchen nötig. Das Einsparpotenzial ist enorm: Allein die Bundesfernstraßen umfassen einen Bestand von rund 39.000 Brücken mit einem Anlagevermögen von etwa 45 Milliarden Euro. Ein Großteil davon ist älter als 50 Jahre.

Beeindruckende Laborversuche

An der TU München werden deshalb Teilelemente mit veralteter baulicher Durchbildung nachgebaut und dann im neuen Versuchsstand getestet. In den aktuellen Versuchen liegt die Bruchquerkraft bei ca. 700 Kilonewton (kN), was rund 70 Tonnen und damit einer realistischen Belastung, beispielsweise durch einen Gigaliner, entspricht. Die Teilstücke sind 3,5 Meter lang, mit einer Querschnittshöhe von 80 cm, was einer Gesamtlänge des Trägers von 12 Metern gleichzusetzen wäre. Dabei wirken vier horizontale und zwei vertikale Hydraulikzylinder mit konstant wachsender Kraft auf das Versuchsstück ein, bis die Struktur der Betonträger zu Bruch geht. Im Zusammenspiel aller sechs servohydraulisch ansteuerbaren Zylinder ergibt sich eine bisher einzigartige Flexibilität: Das unterschiedliche Ansteuern der doppelwirkenden Zylinder erlaubt es, das Betonelement sowohl auf ggf. zweiachsige Biegung und Querkraft als auch auf Torsion – also auf Verdrehung – zu beanspruchen. Mit Hilfe der hydraulischen Ausstattung ist auch eine zyklische Be- und Entlastung möglich und soll zukünftig die Untersuchungsmöglichkeiten im Bereich der Langzeit- und Ermüdungsversuche ergänzen. „Unsere Hydraulikzylinder sind dafür bestens geeignet, da sie eine konstante und exakt regelbare Kraft bis zum Bruch aufbringen können“, erklärt Sven Weckwerth. Die Messung erfolgt dabei im laufenden Betrieb. Liebherr lieferte dazu passende Wegmesssysteme. Außerdem kommt neben den allgemein üblichen Dehnmessstreifen auch noch viel Hightech-Messtechnik zum Einsatz. Eine Besonderheit sind zum Beispiel faseroptische Sensoren, die ansonsten vorwiegend in der Automobilindustrie Anwendung finden. Diese ermöglichen die kontinuierliche Messung von Dehnungen und liefern somit Aussagen zum Last- und Verformungsverhalten.

Seit Mai 2017 werden nun im Wochentakt auf dem neuen Versuchsstand der TU München erfolgreich vorgespannte Betonbrückenträger geprüft. Mit den gewonnenen Daten lässt sich das realitätsnahe Tragverhalten der Träger besser nachvollziehen – zur künftigen Verbesserung und Erweiterung der Rechenmodelle. Und es gibt noch reichlich zu prüfen: Für das kommende Jahr sind bereits Teilelemente mit Querschnittshöhen von 1,2 Metern vorgesehen. Diese Träger hätten dann eine reguläre Länge von ca. 20 Metern, was mit herkömmlichen Prüfverfahren einen erheblichen Mehraufwand bedeuten würde. Außerdem werden Versuche mit ultrahochfestem, faserbewehrtem Beton durchgeführt. Dieser ist drei- bis fünfmal fester als herkömmlicher Beton, sodass sich künftig auf der Grundlage der gewonnenen Daten deutlich schlankere Konstruktionen verwirklichen lassen.

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Kontakt

Alexandra Nolde

Senior Communication & Media Specialist


Liebherr-Components AG

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