
10 Minuten - Magazin 02 | 2024
On the road
Unser neuer Schmalspur-Raupenkran beim Ersteinsatz in Portugal.
LR 1700-1.0W
In einer Bergregion im Osten Portugals hat ein Raupenkran LR 1700-1.0W im Frühjahr eine Windkraftanlage aufgebaut. Seine Feuertaufe hat unser Neuer ohne Probleme bestanden: Die 5,5-Megawatt-Anlage des Herstellers Enercon steht und der imposante Rotorstern mit einem Durchmesser von 160 Metern dreht sich im portugiesischen Wind. Das Besondere an unserem nagelneuen 700-Tonner ist, dass er auf seinen Raupenträgern zum nächsten Standort fahren kann. Das schmalspurige Fahrwerk kommt dabei mit Wegen von etwas mehr als sechs Metern Breite aus. Unser erstes ausgeliefertes Exemplar haben wir auf der iberischen Halbinsel besucht.

Der Auf- und Abbau von großen Raupenkranen nimmt im Vergleich zur eigentlichen Hubarbeit oftmals viel Zeit in Anspruch. Dies gilt auch für Einsätze im Bereich der Windenergie. Bei der Errichtung mehrerer Anlagen oder beim Bau großer Windparks spart die Fähigkeit eines Raupenkrans, zur nächsten Baustelle zu verfahren, enorm viel Rüstzeit ein. Viele Schwertransporte mitsamt dem dafür nötigen Lastenhandling entfallen. Seit 20 Jahren haben wir Erfahrung mit Kranen auf schmalem Raupenfahrwerk. Damals war der LR 1400/2-W unser erstes Gerät dieser Art. Dem Neuen – Nachfolger des LR 1600/2-W – haben wir aber nicht etwa nur ein Upgrade verpasst. Wir haben den Kran komplett neu entwickelt und ihn mit stärkerer Grundmaschine und kräftigerem Fahrwerk ausgestattet. Mit deutlich höheren Traglasten, längerem Auslegersystem und seiner großflächigen Sternabstützung ist er für die Herausforderungen beim Bau heutiger Windkraftanlagen mit Nabenhöhen von bis zu 170 Metern im doppelten Wortsinn bestens aufgestellt.

Standfest: Die Sternabstützung des LR 1700-1.0W liefert dem Kran eine solide Basis von etwa 13,5 auf 13,5 Metern. „Das Ausrichten über die Abstützzylinder ist sehr einfach zu handhaben. Die Nivellierung per Fernsteuerung funktioniert reibungslos und schnell“, sagt Carlos, einer der beiden Fahrer des Raupenkrans.
Doch zurück nach Portugal. Wir nehmen Sie, liebe Leserschaft, gerne mit und fahren 20 Kilometer hinter der spanisch-portugiesischen Grenze durch das kleine Städtchen Sabugal. Immer weiter Richtung Westen geht es bergauf, vorbei an mächtigen Steinrücken durch karge Felslandschaften. Schon von weitem zeichnet der riesige Gittermast des Krans eine gelbe Linie in den klaren Himmel. Daneben wartet die noch flügellose Windkraftanlage, die der LR 1700-1.0W in den vergangenen Wochen aufgebaut hat, auf ihre Fertigstellung. Auch die Männer und Frauen auf der Baustelle warten. Und zwar auf die Anlieferung der riesigen Rotorblätter. „Die Flügel sind leider noch nicht da“, erklären uns Carlos und Samuel, die beiden Fahrer des neuen Raupenkrans, nach der Begrüßung. Transportprobleme.

Gewaltige Lastenträger: Bis zu zwölf Achslinien besitzen die Spezialfahrzeuge, die auf ihren Buckeln die 80 Meter langen Rotorblätter bei Kurvenfahrten in die Höhe stellen können. Die letzten Meter zur Baustelle werden im Rückwärtsgang zurückgelegt.
Die Kunst des Wartens
Warten gehört auf Windkraftbaustellen zum Alltag. Meist ist es ja das Wetter, das den Zeitplan über den Haufen wirft. Genauer gesagt: zu viel Wind, um mit den Kranen sicher arbeiten zu können. Bei Windgeschwindigkeiten von mehr als zehn Metern pro Sekunde ist meist Schluss. Zu gefährlich. Vor allem die windempfindlichen Rotorblätter können dann für ihre Montage nicht ruhig genug gehalten werden. Manchmal verzögert sich aber auch die Anlieferung großer oder schwerer Anlagenteile. So wie jetzt.
Doch ein paar Tage später sind sie in der Ferne auszumachen. Im Konvoi werden die 80 Meter langen Schwingen auf mannshohen, angetriebenen Vielachsern und von schweren Zugmaschinen über die kleinen Bergstraßen geschleppt. Gemächlich mäandert das Trio durch die hügelige Landschaft zur Baustelle.

Eigentlich könnte es jetzt losgehen, doch heftige Windböen und immer wieder dichter Nebel bescheren Carlos und Samuel sowie dem Montageteam nochmal ein paar Tage zähes Warten. Als dann der Wind endlich nachlässt, geht es dafür Schlag auf Schlag. Innerhalb von 36 Stunden hängen alle drei Rotorblätter am Haken des Raupenkrans und gehen nach oben. Die Enercon-Crew ist routiniert und kommt zügig voran, auch wenn immer wieder tief hängende Wolken um das Maschinenhaus ziehen. Und unsere beiden Kranfahrer halten dieses Tempo. Mit ihrem neuen, noch etwas ungewohnten Gerät, liefern sie die sperrigen Bauteile in 120 Metern Höhe präzise an.

Besuch vom Chef: Edgar Garcia als geschäftsführender Gesellschafter von GrupoTagar macht sich selbst ein Bild vom ersten Einsatz seines neuen Schmalspur-Raupenkrans.
„Jeden Tag höhere Türme“
Dazu haben die beiden ihren Kran mit einem 132 Meter langen Gittermast ausgerüstet. An dessen Ende eine feste Spitze von noch einmal zwölf Metern Länge. „Wir bauen eigentlich jeden Tag höhere Türme. Die Dimensionen der Rotorblätter und die Gewichte der Maschinenhäuser werden permanent größer. Da müssen wir natürlich auch mit unseren Kranen Schritt halten und haben deshalb dieses Gerät angeschafft.“ Das erzählt uns Edgar Garcia, geschäftsführender Gesellschafter der Tagar-Unternehmensgruppe. Zu ihr gehört auch EuroTagar, Betreibergesellschaft des neuen Krans. Garcia ist auf die Baustelle gekommen, um sich ein Bild von seinem neuen Gerät zu machen. Und um sich mit Kranfahrern und Projektleitern vor Ort auszutauschen.

Carlos Lé und Samuel Figueiredo (rechts): Die Kabine des LR 1700-1.0W bietet beiden Kranfahrern Platz. Großflächige Fenster und zahlreiche Monitore erlauben beste Übersicht und optimale Kontrolle über die Maschine.
Die GrupoTagar ist mit rund 100 Mobil- und Raupenkranen landesweit breit aufgestellt. Mit dem Hauptsitz im Großraum Porto, Niederlassungen in Leiria und in der Hauptstadt Lissabon ist das Unternehmen in allen Regionen Portugals vertreten. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten liegt auf dem Bau von Windkraftanlagen. Mit einer diesbezüglich starken Präsenz auch in Chile, Mosambik sowie in Nicaragua ist EuroTagar fast schon ein Global Player. „Diesen Kran werden wir vor allem in der Windkraft einsetzen. Deshalb haben wir uns für die Variante mit dem schmalen Raupensystem entschieden“, sagt Edgar Garcia. „Und weil wir den Gitterausleger nur teilweise zurückbauen müssen, um den Kran in einem Windpark zur nächsten Baustelle zu verfahren, sparen wir im Vergleich zur kompletten Demontage erheblich viel Zeit und Arbeit ein.“ „Etwa fünf Tage früher“, schätzt Kranfahrer Carlos, „sind wir wieder zugbereit, als wenn wir den kompletten Raupenkran abrüsten, transportieren und wieder neu aufbauen müssten.“

Rückbau. Stückweise werden die Elemente des Gittermasts entfernt. Manche von ihnen sind bis zu 3,5 Meter breit. Am Ende verbleiben 70 Meter des Auslegers am Grundgerät. Damit kann der Kran bis zum nächsten Baufeld fahren.
Schnelles Handling von Last und Ballast
Carlos und Samuel sind zufrieden. „Der Kran lässt sich wirklich gut und auch zügig bedienen. Der teilbare Derrickballast sowie sein hydraulisch verstellbarer Radius ersparen uns hier viel Zeit“, berichten sie. Bei Aufnahme eines Rotorblattes zusammen mit dem 25 Tonnen schweren Blattgreifer brauchen sie wegen der Entfernung zum Lagerplatz ein wenig zusätzliches Kontergewicht. Die kleine Ballastpalette genügt dafür. Für den Hub bei weniger Ausladung wird sie dann einfach wieder abgehängt. Selbst bei der schwersten Last, dem 120 Tonnen schweren Generator, waren die 70 Tonnen der kleinen Ballastpalette ausreichend. Die breite Sternabstützung und 190 Tonnen auf der Drehbühne geben dem LR1700-1.0W sicheren Stand. Den gesamten Schwebeballast benötigen die beiden nur zum Aufrichten ober beim Ablegen des langen Gittermastes.

Startvorbereitungen: Die Lastverteilerplatten an den Füßen der mächtigen Abstützzylinder werden für das Verfahren ausgerichet. Aus Sicherheitsgründen werden sie – je nach Wegbreite – möglichst weit gespreizt und befinden sich während der Fahrt etwa zwanzig Zentimeter über dem Boden. Dem Schmalspur- Raupenfahrwerk genügen Baustellenwege von sechs bis sieben Meter Breite, dabei kann es sogar Steigungen von bis zu sechs Grad bewältigen.
Nachdem das letzte Rotorblatt montiert und die Windmühle endlich komplett ist, hängen Carlos und Samuel diese 200 Tonnen Gegengewicht an den Derrick-Ausleger. Ihr Raupenkran muss nun zurückgebaut werden. Schon wenige Stunden später liegt der riesige Ausleger schließlich auf dem staubigen Fahrweg. In den nächsten zwei Tagen kürzen die Männer den Mast Stück für Stück und richten die letzten verbliebenen 70 Meter wieder auf. Der Fahrt zum nächsten Baufeld steht nichts mehr im Weg.

Wolkenkratzer: Das erste Rotorblatt wird in 120 Metern Höhe an die Nabe montiert. Vom Dach des Maschinenhauses aus können die Monteure via Fernsteuerung mit dem ausgeklügelten Blattgreifer die Last drehen und neigen. Unten am Boden sind hinter dem Kran die getrennten Paletten des Derrickballasts gut zu erkennen.
Hilfe auch mitten in der Nacht
Auch Edgar Garcia ist bereit zum Aufbruch. Bevor sich der Geschäftsführer verabschiedet, gibt er uns noch einen kleinen Einblick in die Geschichte des Unternehmens: „EuroTagar – zu dem die Firmen Cariano SA und Idelgrua Ibérica gehören – ist nun seit über 20 Jahren auf dem Markt. Unser erstes Gerät war damals ein kleiner Liebherr- Mobilkran mit einer Tragkraft von 70 Tonnen. Die Arbeit damit war prima und der Service von Liebherr so gut, dass wir uns nie Maschinen anderer Hersteller angeschafft haben. Das ist bis heute so geblieben.“
Zum Thema Service hat Edgar Garcia dann noch eine kleine Anekdote parat: „Ich erinnere mich an einen Vorfall in Venezuela, als einer unserer Krane nachts Probleme hatte und die Autobahn blockierte. In Europa war es etwa fünf Uhr morgens, aber wir bekamen tatsächlich einen Techniker von Liebherr ans Telefon, der sich zwei Stunden lang um uns kümmerte. In solchen Momenten der Verzweiflung ist es einfach sehr beruhigend, zu wissen, dass man so viel Unterstützung bekommt.“
Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 02 | 2024.